"Du wirst leben und erzählen, was mit uns passiert ist" – dieses Versprechen musste Erna de Vries ihrer Mutter im Herbst 1943 geben. Sie überlebte den Holocaust und berichtete bis zu ihrem Tod über die Gräueltaten der NS-Diktatur. Sie und ihre Arbeit haben mich persönlich tief beeindruckt – ein Nachruf.
Mit 19 Jahren, im Juli 1943, wird Erna de Vries, die damals noch Erna Korn hieß, nach Auschwitz deportiert. Fortan war sie das, was alle Menschen waren, die aus Sicht der NS-Diktatur kein Existenzrecht in der Gesellschaft und auf der Erde hatten: Eine Nummer, 50462. Erna de Vries war damals schon tapfer. Sie begleitete ihre Mutter nach Auschwitz, um sie nicht im Stich zu lassen. Sie beiden ahnten dabei, was auf sie zukommt. Bereits am 15. September wurde sie in einen Todesblock verlegt. Doch statt in den sicheren Tod zu gehen, wurde sie am Folgetag von der SS aus ihrer Gruppe herausgeholt und in das KZ Ravensbrück deportiert. Auch den Todesmarsch im Frühsommer 1945 bis nach Mecklenburg überlebte sie, wo ihr Treck von Alliierten befreit wurde und ihr Martyrium unter den Nationalsozialisten endete. Ihre Mutter hingegen überlebte Ausschwitz nicht. Sie wurde am 8. November 1943 ermordet.
"Du wirst leben und erzählen, was mit uns passiert ist" – dieses Versprechen musste Erna de Vries ihrer Mutter vor ihrer Trennung geben. Und genau das tat sie bis zu ihrem Tod am 23. Oktober im Alter von 98 Jahren. In meiner Zeit als Lehrer durfte ich mehrfach mit Schülergruppen ihren Erinnerungen zuhören. Sie gab dabei Einblicke, wie sie nur Zeitzeugen geben können. Denn das, was die Menschen in der Hölle von Auschwitz erleben mussten, das, was Menschen anderen Menschen imstande sind anzutun, ist bis heute kaum vorstellbar.
Mit ihrer Art hat Erna de Vries nicht nur unzählige Schülerinnen und Schüler bewegt, sondern uns alle: Lehrkräfte, Eltern, Angehörige, Freunde. Ihre Botschaft war dabei stets klar: Lasst das, was geschehen ist, nie wieder zu.
Ich bin tief davon überzeugt: Wir als Gesellschaft stehen in der Verantwortung, dass sich derart schreckliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht wiederholen. Und dafür müssen wir stets gegen das Vergessen und gegen nationalsozialistischen Menschenhass ankämpfen. Das sind wir Erna de Vries und allen weiteren Opfern von Holocaust und NS-Diktatur schuldig.
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